What the fog?!
Was weg ist, ist weg, so lautet in den vergangenen Tagen der etwas puristische Ansatz der Verpflegungsplanung. Besser noch: mangelnde Mangelverwaltung. Hintergrund sind die seit heute hoffentlich hinter uns liegenden, eher grau-flauen Tage, und regenlosen (aber 100% luftfeuchten), stockfinsteren und schwarz-flauen Nebelnächte, die an den Nerven der Crew nagten, wie der Hamster an der Vollkornstange. Die Crew verlangte ausgleichende Seligmacher, und mangels Rock-Festivals in der Nähe wurde somit konzeptlos und ohne Gremienbeschluss das Süßwarenschapp zum Abschuss freigegeben, wie das Wildschwein bei der Drückjagd. Der kurze Dienstweg ist Devise: "...an Steuerbord ganz hinten im oberen Netz sind noch Oreo-Kekse, aber erzähl der Freiwache nichts...", warum auch: Wenn jeder an sich denkt, ist an jeden gedacht. Dabei weiß man: wenn Dein Wingman Dich um 03.00 Uhr morgens gut gelaunt und leicht überdreht zum Wachswechsel weckt, dann aufgemerkt und schau gut hin: Nicht selten wirst Du feststellen, dass das breite Dauergrinsen nur die verräterische Schokoladenschnute des Wachpartners nach launiger Nachtwache ist. Klar ist, in dieser Situation hilft nur der beherzte Griff zur Selbstjustiz oder in diesem Fall in die Kit Kat-Tüte. Morgens bei Dämmerung weiß oft wieder keiner, woher die ganzen Wasabinüsse im Cockpit kommen. Karge Zeiten, verglichen mit den vergangenen Wochen im Saus und Braus. Der frische Aufschnitt ist aufgezehrt, und wir verspeisen das immer noch schmackhafte, frische Brot mit Öl und Meersalz (Fleur de Fenêtre, davon ist reichlich da), Honig oder Marmelade aber ohne Butter. Noch eine Salami wäre wohl drin gewesen, ist man sich einig. In Ermangelung des in der "grauen Phase" Neptuns so populären Earl Grey-Tees mit frischem Ingwer-Schnitz, wird zu dessen kleiner Schwester Lady Grey gegriffen, und statt frischem Ingwer altes Kraut aufgegossen. Jeder Teegourmet weiß, dass diese Schwester eher geschmacklos daherkommt. Nur Trockennahrung haben wir noch reichlich, wir werden es also überleben. Doch Hoffnung keimt auf: Philipp gab heute Morgen ein neues Konzept für mehlgeschmack- und bratpfannenfreie Rühreiherstellung bekannt. Als weiteren Ausgleich für die anstrengenden Nächte wurden ferner Konzepte zum Inflight-Entertainment in der Koje diskutiert, man könnte beispielsweise iPads anbringen und dem wachfreien Cineasten niveauvolle Hollywood-Kost reichen, irgendetwas Entschleunigendes über die Rettungsschwimmer von Malibu in Super-Slow-Mo vielleicht. Keine schlechte Idee, gesagt, getan. Aber nur, wenn die Kinder vorher artig Schlafanzüge anziehen und Zähne putzen. Die Erwachsenen und ihre Freunde wollen an Deck auch mal ihre Ruhe haben.
So dunkel und nervenzehrend die Nächte aber sind, so vielseitig und spektakulär das Naturschauspiel, welches sie uns täglich bieten. Das Meeresleuchten ist hell wie nie und als langer leuchtender Streifen unter anderem im Kielwasser sichtbar. Die uns seit vielen Tagen treu begleitenden Delfine schießen nachts Torpedos auf uns zu und unter uns durch, während sie queitschfidel leuchtenden Blue Curacao vergießen. Sieht jedenfalls ähnlich aus. Durch die Seewasserpumpe findet das fluoreszierende Kleingetier im Wasser auch den Weg in die Bordtoilette, was oft erleichternde Erleuchtung herbeiführt. Wir finden keine technische Lösung, dieses Phänomen zu dokumentieren (Langzeitbelichtung oder Außenbordequipment eher schwierig an Bord), daher beschreiben wir es frei nach Deichkind: LED auf'm Klo, LED an der Winch, LED unterm Schiff - leider geil.
Tagsüber zeigen sich wieder die Wale. Diesmal vier Stück, die jagend aus dem Wasser springen und eindrucksvoll zurück in die Fluten platschen. Unsere Delfine sind wieder da (sie haben denselben Weg) und schließen sich heute einem Thunfischschwarm an. Unsere Sielmänner begründen das damit, dass sie denselben Makrelentyp als Beutefisch bevorzugen. Leider sehen wir auch eine verendete Seekuh an Backbord vorrübertreiben ("hätte die Sekuh ma' Secumar getragen").
Trotz endlichem Süßwarenvorrat ist die Stimmung wieder gut. Wir surfen mit Gas in die richtige Richtung und plotten die perfekte Strecke für den Englischen Kanal. Der Skipper backt Zitronenkuchen - echt keine Ahnung, warum, aber er sendet seinen Gruß aus der Küche.
Eure Broader View Hamburg-Crew
Felix Christiansen