Per Heli zum Boot von Martin Röhrig
Donnerstag
Morgen, 9 Uhr, irgendwo mitten in den Schären vor Stockholm. In meinem
kleinen roten Blockhaus wache ich vom starken Regen auf. Ich schaue
durch das Butzenfenster hinaus aufs Wasser- kalt, ballerig, nass.* **
Ich
ziehe den Vorhang zu, lege mich wieder zurück ins Bett und streiche
Schweden von der Liste der zu bereisenden Urlaubsländer. Das soll mir
nicht nochmal passieren- was für ein Mist. Mein 84 jähriger Grossvater
schüttelt beim Frühstück nur den Kopf- welch furtbares Wetter, so
schlecht war es die letzten drei Jahre nicht... ich bin bedient. Durch
den Regen kämpfe ich mich zur Fähre gen Stockholm. Jetzt erst mal ein
Bier. Auf schwedischen Fähren muss man Bier trinken, um nicht
aufzufallen. Dann ein kleines Nickerchen im Warmen, bevor es an Bord
geht- ganz ohne Heizung.
Die Haspa Hamburg schaukelt verträumt im
Hafen Navishamn auf der Insel Djurgarden. Einchecken- das Wetter klart
langsam auf. Nach langer Zeit trete ich wieder zu einer Segeltour mit
über 50% Jugend an. Ich bin gespannt. Die Neugierde hat mich hierher
getrieben- bringt es wieder so viel Bock wie früher, als ich so ziemlich
alles und überall gesegelt bin?
Ricky Westphal ist Nachwuchsskipper-
gebackupt von Achim. Da kann weder seemännisch noch menschlich viel
anbrennen. Der Rest wird sich zeigen. Erster Eindruck: passt- alle jut
druppe. Und dann lassen sich auch noch erste Sonnenstrahlen blicken.
Meine Stimmung hebt sich zum ersten Mal merklich an diesem Tag. Westlich
von unserem Liegeplatz erheben sich die Türme vom Vergnügungspark Gröna
Lund- ein Kettenkarussel- wie geil. Überhaupt kann der Liegeplatz so
einiges- toll gelegen erreicht man ihn mit der Strassenbahn, zu Fuss
oder -ganz modern- mit dem Elektroroller. Auch der Schwede hat sich auf
diesen Wahnsinn eingelassen- finde ich gut.
Als das Nötigste
erledigt ist und die Sonne die Stimmung auf ein Alltageshoch gehoben
hat, beschliessen wir, noch einen Abstecher in den Vergnügungspark zu
machen- ich will ins Kettenkarussell- im Sonnenuntergang- und ich will
eine grosse Tafel Schokoloade!
Das Kettenkarussel hat irgendwelche
technischer Probleme und so disponieren wir kurzfristig um-
Sonnenuntergang in so einem anderen Mörder- Überschlagsteil. Wozu tue
ich mir den Scheiss nur immer wieder an. Zwar sind wir genau zum
Sonnenuntergang am Zug, aber bei der dichten Abfolge von
Adrenalinschüben mag so gar keine Romantik entstehen. Egal- überlebt,
geil wars. Die Schokolade am Glücksrad entgeht uns um einen Ditscher,
aber der Ausflug war allemal klasse. Gegen halb elf sind wir zurück an
Bord und stossen dort auf den Rest der Crew. Es muss eine gute Crew
sein, denn ich habe binnen kürzester Zeit alle Namen auf dem Zettel-
normalerweise dauert das bei normalem Ignoranzmodus mindestens drei
Tage. Mit ein bis zwei Gin-Tonic im Kopf und einem guten Gefühl im Bauch
geht es irgendwann ins Bett- die Stimmungskurve zeigt schon mal in die
richtige Richtung.
Samstag
Sonnenstrahlen küssen mich wach.
Schweden begrüsst uns mit Wetter vom Allerfeinsten. Ich setze Kaffee
auf- jetzt wird es noch einmal spannend, denn: der erste Kaffee des
Tages entscheidet über Sieg oder Niederlage- zumindest bei mir. Kaffee
schmeckt, die Sonne wärmt mich auf dem Vordeck, keiner verbreitet Hektik
und perfekt gelaunte Crewmitglieder gesellen sich dazu oder gehen
entspannt den Morgenverrichtungen nach- mit Euch möchte ich gerne auf
Reise gehen.
Next Stop- Bunkern in Sandhamn. So sauer ich gestern
noch war, es wird heute 1000 fach wett gemacht. Das Licht ist
gigantisch, die optischen Eindrücke überfordern komplett mein kleines
Hirn- die Ausfahrt durch den Schärengarten ist einfach ein
unbeschreibliches Erlebnis. Vorbei an kleinen Häuschen, zwischen den
Inseln durch- eine lange schöne Reise bis zum Zentrum schwedischer
Dekadenz- Sandhamn. Während wir bunkern, schweben hinter uns Reihenweise
Hubschrauber ein, landen auf einem Mini-Ponton neben einem VW Touareg
-die Heimat lässt grüssen- und werfen wohlhabende Schweden ab. Das nenne
ich einen strammen Auftritt, von dem sich die Crew nur mässig
beeindruckt zeigt- gut so.
Wetter checken. Kurzzusammenfassung: Es
ist alles dabei. Sturmwarnung für Nordsee, westliche und südliche
Ostsee. Die Windkarte ist komplett bunt und das im Juli- unfassbar. Für
unsere Region wird es in der Nacht windig, aber nicht übermässig heftig.
Also Leinen los und auf nach Osteuropa bei lauen Winden um 6 Knoten.
* Anmerkung des Autors: Ich kann nur "ich-Form"
** Anmerkung der Crew: "nicht können" heisst "nicht wollen"
Viele Grüße von Bord wünschen euch
Skipper und Crew